GUTE UNTERHALTUNG

Schloss-Geschichten
LESEPROBE



Corinna Pfaff

Illustration: Roland Regge-Schulz

Besessen von einem guten Geist

Petermännchen spukt noch immer in den Köpfen


Sein rotes Gewand leuchtet wie ein Alarmknopf von

der Schlossbrücke. Vor Aufregung hüpft es hin und
her. Schließlich kündigt sich großes Unheil an. Doch –
oh weh! – niemand nimmt Notiz von der kleinen Gestalt
mit dem spitzen Hut. So wie einst die Trojaner Laokoons
Warnungen in den Wind schlugen und Kassandra
verlachten, so ignorieren die Schweriner an jenem
Dezembertag anno 1913 ihr Petermännchen. Ganz klar,
es will vor dem großen Feuer warnen. Doch weil das
niemand ernst nimmt, können sich die Flammen schon
bald ungehindert durchs Gebälk fressen. Das Schloss
brennt lichterloh.

Kein Wunder, dass sich das Männchen rar machte in der Stadt mit den sieben Seen. 1930 tauchte es mal wieder auf. Und wurde beobachtet, als es flink über die Mauer im Burggarten kletterte. Von einem ehrenwerten Zeugen, einem Polizisten, der des Nachts auf der Schlossinsel Dienst tat. Der Gesetzeshüter hatte keinen Zweifel – das war das Petermännchen!



Der Schweriner Schlossgeist. Ein geheimnisvoller Zwerg, gedrungene Gestalt mit Federhut, Stiefeln und Stelzen. So zeigen ihn die Sandsteinplastik im Schlosshof, die Holzfigur am Eingang des Burggartens und das Rundbild, das heute in der Beletage des Schlosses hängt. Dort regt es noch immer die Phantasie der Betrachter an. Vor allem Kinder scheinen geradezu besessen von dem guten Geist.

Aber auch Erwachsene, die das Petermännchen davor bewahren wollen, im dunklen Strudel der Vergangenheit zu versinken und damit in Vergessenheit zu geraten. Archivare, Historiker, Germanisten und andere wissbegierige Menschen sammeln, was sie finden können über die sagenumwobene Gestalt, graben tief im Geschichten-
Fundus, stellen Zusammenhänge her und weben aus den Einzelteilen einen neuen Teppich bunter Legenden. Mal wissenschaftlich begründet, mal phantasievoll, mal als Mischung aus beidem.

So sind Petermännchen-Forscher auch auf die Sage von den Zwergen gestoßen, die den Petersberg bei Pinnow verließen und nach Wismar weiterzogen. Angeblich, weil ihnen das Brot zu sehr gesegnet gewesen sei. Vielleicht ein Hinweis auf die Christianisierung im frühen Mittelalter, die wohl nicht allen gepasst hat. Und einer der Zwerge macht den Umzug nicht mit, schmollt und bleibt einfach am Schweriner See – das Petermännchen?

Nach einer anderen Legende ist Petermännchen ein Prinz, der sich mit einem Priester anlegt und zur Strafe fortan sein Dasein als Zwerg fristen muss. Er lebt auf der Burginsel seiner Väter im Schweriner See. Als Petermännchen, bis heute.


Wie das so ist mit den Sagen. So unwahrscheinlich sie auch klingen mögen, in ihnen glimmt immer auch ein Fünkchen Wahrheit. Schlagen wir das Buch der Vergangenheit auf und blättern zurück ins 11. Jahrhundert. Deutsche und Slawen bekriegen sich auf dem Schlachtfeld. Der Sieger – die üble Angewohnheit hat sich bis heute gehalten – zerstört alles, was dem Unterlegenen wichtig war. So müssen auch die heidnischen Heiligtümer der Slawen dran glauben. Schon möglich, dass ein Fürstensohn der heidnischen Obotriten mit einem christlichen Priester im Clinch lag.


Oder hat das Petermännchen etwas mit dem Poltergeist „Puck“ oder „Pück“ zu tun? Nun haben wir in unserem Buch schon wieder vorgeblättert, bis ins
16. Jahrhundert. Hauste das umtriebige Kerlchen
zwischenzeitlich im Franziskanerkloster? Dort, wo heute die Staatskanzlei steht. Dann ist es bestimmt als Hausgeist mit den Steinen und Balken der abgerissenen
Klosterkirche auf die Schlossinsel umgezogen. Dort wurden die alten Baumaterialien bei der Errichtung der ersten evangelischen Kirche mitverwendet. Es gibt Leute, die schwören, das Petermännchen bewohne bis heute ein Zimmerchen im Glockenturm. Dass es sich noch immer auf der Schlossinsel herumtreibt, soll sogar historisch belegt und in einem Dokument im Mecklenburgischen Landeshauptarchiv festgehalten sein. Die Witwe des einst angesehenen Kammerlakaien Daniel Gardemin gab 1747 ein Ereignis zu Protokoll, das ihrem Gemahl
zugestoßen sei. Er habe sich von einem „kleinen
Mängen“ gestört gefühlt, so dass er es beschimpfte und
bedrohte. Das aber wehrte sich mit einer heftigen Ohrfeige.


Damals galt es als schick, kleinwüchsige Menschen am Hof zu „halten“. Die aber standen auf der sozialen Leiter weit unter einem Kammerdiener. Ein rechtloser Zwerg wehrt sich? Das war so unerhört, dass damit die Sagen um das Petermännchen wieder belebt wurden.


Seit dem Polizisten 1930 aber hat keiner das Männchen mehr gesehen. Oder ist es jetzt eine dicke Katze, wie Schüler bei einer Führung durchs Schloss vermuteten? Hauptsache, niemand versucht, den verwunschenen Prinzen zu erlösen. Schwerin würde in den Fluten versinken und als Slawenhochburg wieder erstehen. Der gute Geist bleibt besser dort, wo er gut aufgehoben ist: in der Phantasie der Menschen.


B E S T E L L E N